Alexandra aus Zürich: "Hast du als Kind gelesen? Wenn ja wie viel und vor allem was?"
Emma aus Springe: "Wie sahen in der Schule deine Deutschnoten aus?"
Meine Schulnoten in Deutsch waren passabel, aber nicht herausragend. Ich erinnere mich, dass ich bei Büchern, die mir sehr gut gefallen haben wie z. B. "Sansibar oder der letzte Grund" von
Alfred Andersch, "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers und "Homo Faber" von Max Frisch ansprechende Aufsätze abliefern konnte. Für sprachwissenschaftliche Themen konnte ich mich nicht so
begeistern. Dementsprechend fielen dann auch die Klausuren aus.
Wenn man bedenkt, dass ein so herausragender Autor wie Thomas Mann zweimal sitzengeblieben ist, relativiert sich die Aussagefähigkeit von Schulnoten jedoch schnell. Natürlich braucht man als
Autor ein Gefühl für Sprache, aber andere Eigenschaften wie Erfindungsreichtum, Begeisterungsfähigkeit und Durchhaltevermögen sind bestimmt genauso wichtig, um ein Buch zu veröffentlichen. In
diesem Sinne meine ich auch, dass sich niemand von seiner Note in Deutsch abhalten lassen sollte, wenn die Fantasie übersprudelt und er seine Gedanken auf dem Papier festhalten will.
Anna aus Berlin: "Wann hast du mit dem Schreiben angefangen?"
An meinen ersten Versuch kann ich mich lebhaft erinnern. Ich muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein und hatte in der Schule gerade die ersten Buchstaben aneinander gereiht. Zum
Einschlafen spielte ich in jener Zeit immer Hörspiele auf meinem Kasettenrekorder ab und ein neues Märchen wühlte mich derart auf, dass ich mich mit Buntstiften an meinem Schreibtisch setzte
und etwas Ähnliches schaffen wollte. Die Handlung gestaltete sich in etwa so: Ein Prinz rettete eine Prinzessin, die in großer Gefahr schwebte. So sehr ich mir den Kopf auch zerbrach, fielen
mir nicht die passenden Worte ein. Schließlich verschob ich das Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt und legte mich wieder ins Bett.
Bei einem weiteren Versuch muss ich siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen sein. Ich schrieb an einem Detektivroman, von dem ich noch nie jemandem erzählt habe. Die Handlung war eigentlich
nebensächlich. Im Mittelpunkt stand ein Held, der Liebeskummer hatte, einen Glimmstengel nach dem anderen paffte und cool rüberkommen wollte, indem er sich so wortkarg gab wie Bruce Willis in
"Die Hard". Nach ungefähr hundert Seiten zerriss ich das unfertige Manuskript. Vermutlich fürchtete ich, dass ein Leser erkennen könnte, dass der Held mehr Ähnlichkeit mit mir hatte, als mir
lieb sein konnte. ;-)
Anna aus Berlin fragt: "Wie wird man Schriftsteller?"
Sicherlich gibt es sehr unterschiedliche Wege, wie "man" Schriftsteller wird. Manch einer nutzt seine Popularität, um ein Buch zu veröffentlichen. Ein anderer forscht auf einem interessanten
Gebiet und kann sein Fachwissen für eine Publikation einbringen. Bei mir war es so, dass ich mir schon als Kind gerne Geschichten ausgedacht habe und mich irgendwann entschloss, sie Lesern
zugänglich zu machen. Bis zur Veröffentlichung in einem Publikumsverlag vergingen jedoch viele Jahre, die auch von Rückschlägen geprägt waren. Beinahe jeder Autor kann wohl von solchen
Erfahrungen berichten. Die Gründe für eine Absage können vielfältig sein: das Manuskript passt nicht in den Trend auf dem Buchmarkt, der Autor passt nicht in das Anforderungsprofil des Verlages,
der Lektor hat mit einem Buch aus dem Genre schlechte Erfahrungen gemacht oder, was natürlich auch sein kann, das Manuskript hat noch keine Angebotsreife. Aus Enttäuschung haben schon viele große
Talente die Schreiberei aufgegeben. Deshalb sind bestimmte Charaktereigenschaften wie Geduld, Beharrlichkeit, Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, sich ständig zu verbessern, eine weitere
wichtige Voraussetzung, um die Buchveröffentlichung zu erreichen und dauerhaft Schriftsteller zu bleiben.
Aleaxandra aus Zürich: "Wie schreibst du deine Bücher? Mit einem Textverarbeitung- oder einem Autorenprogramm? Wenn ja, welches?"
Am Anfang eines Romanprojekts halte ich die Namen für die Protagonisten, ihre Charakterisierungen, schöne Formulierungen, Beschreibungen des Settings und Handlungstränge mit einem Bleistift in einer Kladde fest. Die meisten Aufzeichnungen kann ich später nicht mehr verwerten, weil ich entweder zu euphorisch war, weil mir später etwas Besseres eingefallen ist oder - das passiert auch - weil ich meine Schrift nicht mehr lesen kann. Trotzdem sind diese Notizen sehr wichtig. Durch sie kann ich zum Wesentlichen vordringen und allmählich ein Gefühl für die Story entwickeln. Diese Phase kann Tage oder Wochen dauern. Danach begebe ich mich meist sofort an den PC und arbeite mit Microsoft Word 2003 weiter.
Alex aus Zürich: "Gibt es spezielle Situationen, die dich zum Schreiben anregen? (Umgebung, Menschen, Musik...)"
Die besten Ideen habe ich, wenn ich mir meine Turnschuhe anziehe und durch den Wald jogge. Zuerst verarbeite ich alltägliche Dinge, aber mit zunehmender Dauer denke ich immer intensiver über mein aktuelles oder zukünftiges Buchprojekt nach. Dabei entstehen besondere Formulierungen, neue Charaktere, Dialoge oder ganze Kapitel. Manchmal finde ich die Einfälle so originell, dass ich sie sofort nach meiner Rückkehr - noch schwitzend und triefend - niederschreibe, weil ich fürchte, dass ich sie zu einem späteren Zeitpunkt vergessen haben könnte.
Alex aus Zürich: "Wieviel schreibst du pro Tag. Gibt es da eine eigens gesetzte mindeste Zeit oder Anzahl Seiten?? Oder machst du das ganz spontan?"
Wenn man sich die Arbeitszeit frei einteilen kann, ist es tatsächlich sinnvoll, sich ein festes Pensum vorzunehmen. So hat man ein Mittel zur Selbstkontrolle und verschafft sich ein Erfolgserlebnis, das sehr motivierend sein kann. Bei mir laufen Recherche und Textarbeit meist nebeneinander her. An manchen Tagen lese ich sehr viel, an anderen Tagen entwerfe ich das Setting oder eine Figur und an wieder anderen Tagen schreibe ich ein neues Kapitel. Bei dieser Arbeitsweise ist es wenig sinnvoll, sich eine feste Seitenzahl vorzunehmen. Daher habe ich mir angewöhnt, mir bestimmte Tagesziele zu setzen, die beispielweise so lauten können: Heute lese ich dieses oder jenes Buch zu Recherchezwecken. Oder: Heute überarbeite ich die Dialoge. Oder: Heute vollende ich das zehnte Kapitel. Manchmal nehme ich eine Stoppuhr zur Hand, um die Arbeitszeit zu messen. Meine kleinen Erfolge notiere ich einem Kalender, den ich manchmal hervorhole, um mir vor Augen zu führen, wie fleißig ich gewesen bin. Dann kann ich auch guten Gewissens einen Tag frei machen oder in den Urlaub fahren.
Aveleen-Avide: "Wie kamst du auf "Mord unter den Linden?"
Das Kaiserreich ist in Berlin in Bauwerken, Denkmälern, Straßennamen etc. überall präsent. So lag es für einen historisch interessierten Menschen wie mich nahe, sich mit dieser Epoche näher zu
beschäftigen. Je mehr ich las, desto mehr Gefallen fand ich an jener Zeit, die von ständigen Aufbrüchen, Umbrüchen und Neuerungen geprägt war. Nach und nach kristallisierten sich einige Themen
heraus, die mich besonders fesselten und sich auch gut für eine Krimihandlung eigneten. Dann hatte ich die Idee, einen Kriminologen der ersten Stunde als Helden zu nehmen, und irgendwie wurde das
Projekt immer konkreter...
Aveleen Avide: Ich bin sicher, dass du für „Mord unter den Linden“ recherchieren musstest. Ist dir bei den Recherchen etwas Überraschendes, Außergewöhnliches, Witziges passiert?
Neben den im Roman behandelten Themen wie Kriminologie, Radsport, Anarchismus, Sekten etc. wollte ich den behandelten Zeitraum möglichst authentisch darstellen, um ein getreues Abbild jener Tage zu zeichnen. Tatsächlich habe ich bei der Recherche etwas Außergewöhnliches erlebt. Meine Co-Heldin ist eine Schauspielerin, so dass es für eine treffende Charakterisierung auch wichtig war, sie den Lesern bei ihrer Berufsausübung zu zeigen. Im Juli und August des Jahres 1890, dem Handlungszeitraum des Romanes, wurde aber eine Theaterpause eingelegt, so dass in der Tagespresse von damals kaum Stücke angekündigt wurden. "Der Nautilus" von Carl Pander bildete da eine Ausnahme. Nur war das Stück in gedruckter Fassung deutschlandweit in keiner Bibliothek aufzutreiben.
Ich konnte einfach nicht herausfinden, welchen Inhalt das Stück hatte, bis mir ein sehr erfahrener Bibliothekar, der gleichzeitig glühender Theaterfan war, vorschlug, es mal im Landesarchiv bei den Polizeisachen zu versuchen. Und da habe ich die Aufzeichnungen von einem kaiserlichen Spion gefunden, der eigentlich dokumentieren sollte, ob obrigkeitsfeindliche Aussagen gemacht wurden. Zu diesem Zweck besuchte er eine Aufführung, stenografierte das Stück mit und hielt es später in Schönschrift fest. Dass seine Arbeit einem Romanautor im 21. Jahrhundert mal dienlich sein würde, hätte der gute Mann ganz sicher nicht für möglich gehalten. Deshalb habe ich ihn - als kleines Dankeschön -, sitzend in der Proszeniumsloge, in das Theaterkapitel eingebaut.
Aveleen Avide: Fallen dir Dialoge, Charaktere oder szenische Darstellungen leichter, fällt dir alles gleich leicht oder anders gefragt, magst du alles gleich gerne?
Zuerst erfinde ich meistens die Charaktere, dann entwerfe ich einen Handlungsrahmen und schließlich skizziere ich die Dramaturgie der Dialoge. Ich kann nicht sagen, dass mir eine Tätigkeit mehr oder weniger Spaß macht oder mehr oder weniger liegt. Vielmehr habe ich immer vor Augen, wie die einzelnen Bausteine des Romans irgendwann ineinander greifen, wie sie sich bedingen und ergänzen und wie sie schließlich zu einem „lebenden Organismus“ werden.
Aveleen Avide: Wie hast du es geschafft, dass keine losen Fäden im Buch übrig bleiben?
Bei meinen ersten Romanversuchen hatte ich eine Idee und habe dann drauf los geschrieben. Dabei habe ich manchmal Personen oder Szenen in die Handlung integriert, die ich zwar originell fand, die aber für den Fortgang der Geschichte keine tragende Rolle gespielt haben und bei einer gründlichen Überarbeitung hätten gestrichen werden müssen.
Als Leser finde ich solche Passagen ermüdend, weil sie vom Wesentlichen ablenken und die Handlungsdynamik stören. Deshalb bin ich irgendwann dazu übergegangen, die Protagonisten, die Handlung und die Dialoge im Vorfeld detailliert zu entwerfen und bis zum Ende durchzudenken. Das ist zwar zeitaufwändig, aber im Hinblick auf das Ergebnis lohnenswert.
Aveleen Avide: Wie gehst du an deinen Protagonisten Dr. Sanftleben heran? Würdest du uns dafür einfach mal ein Beispiel für die ersten Überlegungen zu einer Figur geben?
Die Kriminologie war am Ende des 19. Jahrhunderts noch eine junge Wissenschaft. Mein Romanheld sollte daher ein moderner Charakter sein, der auch vor der Erkundung von Neuland nicht zurückschreckt.
Um den Charakter eines Protagonisten dem Leser näherzubringen, reicht es meiner Meinung nicht aus, bestimmte Eigenschaften in auktorialer Erzählweise zu benennen. Eine solche Vorgehensweise finde ich weder anschaulich, noch nachhaltig. Viel lebendiger ist es, wenn sich der Autor erklärende Kommentare erspart, hinter seine Figuren zurücktritt und sie handeln lässt. Dann erklären sie sich selbst. Bei der Romanplanung ist es für mich also wichtig eine Handlung zu finden, die den Helden treffend charakterisiert.
Wie schon gesagt sollte Dr. Otto Sanftleben ein moderner Mann sein, der auch mal konservatives Denken hinterfragt und dagegen aufbegehrt. Der Radsport spaltete die Gesellschaft damals in zwei Lager – die leidenschaftlichen Befürworter und die erbitterten Gegner. Während meiner Recherche las ich in einem Polizeibericht, dass der Innenstadtbereich für Zweiräder gesperrt war. So hatte ich die Idee, Dr. Otto Sanftleben zu einem leidenschaftlichen Vorkämpfer der Radsportbewegung zu machen und ihn das Verbot in Frage stellen zu lassen. In einer Romanszene rast er auf seinem Niederrad – verfolgt von zahlreichen Ordnungshütern – die Paradestraße „Unter den Linden“ hinunter, um ein Zeichen zu setzen und einen moralischen Sieg für die Radsportbewegung zu erringen. Ich finde, dass ihn diese Verhaltensweise treffend charakterisiert.